Auf Tour (5): Helle Kiefer sieht so frisch und jung aus

Gut, ich war verwöhnt. Ich kam gerade aus der berührenden und, ja, beglückenden „Kleist-WG“, einer Ausstellung voller Kraft, Phantasie und Liebe zu ihrem Gegenstand. Und so überaus freundlich auch die Aufnahme beim Kleist-Museum quasi schräg gegenüber war: Im direkten Vergleich konnte die Frankfurter Kleist-Ausstellung, die unverkennbar von Günter Blamberger, Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und Kleist-Biograph, kuratiert war, nur verlieren. Zumindest, wenn es um die Aufgabe einer derartigen Ausstellung geht, ein größeres Publikum neugierig zu machen auf einen Autor. Dabei sind die Mittel, die Blamberger und sein Team benutzen, denen der Kleist-WG-Macher durchaus verwandt: Vergegenwärtigung der Texte, Assoziationen zu unserer Welt heute, Visualisierung biographischer Zusammenhänge. In der Umsetzung geriet die Doppelausstellung im Berliner Ephraim-Palais und im Frankfurter Kleist-Museum aber eigenartig kraftlos. Ein etwas bemühter Kraftakt in sehr viel Kiefer und hellblau.

Was die Designer der Ausstellung da geritten hat, werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr begreifen. von den guten alten Ivar-Regalen kennt, Beide Ausstellungen sind durchweg in einem Holz gestaltet, das man sonst nur noch die IKEA seit Jahren nach und nach aus dem Sortiment nimmt, weil helle Kiefer offenbar nicht mehr en vogue ist. Hier darf es sich in allen Räumen noch einmal nach Herzenslust entfalten. Sinn, ob mit Bezug auf Kleist oder ohne, ergibt das wenig. Es sieht halt alles so schön hell und frisch und jugendlich aus. Das unmögliche Möbelhaus aus Schweden. Das ist ästhetisch nicht immer ein Genuss, und manchmal nervt es einfach – die Gegenüberstellung eines zu kleinen Stuhls und eines zu großen hatten die Schüler in der Kleist-WG jedenfalls besser gelöst.

Die Räume in beiden Ausstellungen (eine kleine Etage in Frankfurt, drei größere in Berlin) widmen sich je einem Thema, mal mehr biographisch (Frankfurt), mal mehr nach Werkmotiven (Berlin) – wobei die Sortierung der Räume nicht zwingend so ist, und viele Räume hätte man zwischen den Städten auch tauschen können. Klar ist: Nur wer beide Ausstellungen gesehen hat, hat die Ausstellung komplett gesehen. Die Texte auf den großen Tafeln kennen Kleistkenner bereits aus Blambergers Biographie – ohne natürlich die Tiefe dieses Buches erreichen zu können. Allerdings erwarte ich Aha-Effekte aus der Visualisierung, die eine Ausstellung einem Buch voraus hat, und diese Aha-Effekte bleiben leider in einer Vielzahl der Räume aus.

So besteht der Raum in Berlin, der von Kleists Zeit in Königsberg erzählt, in denen er sich vor allem mit Akten befasste, aus riesigen Regalen mit, eben, Akten, und zwischen den Akten stehen kleine Lautsprecher und flüstern unverständlich vor sich hin. Die haben viel zu erzählen, die Akten! Der Raum zum Thema Berliner Abendblätter besteht aus sehr wenigen Vitrinen mit Faksimiles und vor allem riesigen Papierstapeln und Abendblätter-Kopien, die die riesige Menge an, eben, Berliner Abendblättern symbolisieren.

Gelungen dagegen der Raum, der sich mit Kleists Aufsatz Über das Marionettentheater beschäftigt: Eine Nachbildung der berühmten Dornauszieher-Skulptur, eine Kamera, die das Videobild des Besucher, der vor der Statue steht, live und auch für ihn gut sichtbar auf eine große Leinwand wirft, und auf der Texttafel mit ironischem Unterton die Warnung davor, die natürliche Grazie des Dornausziehers auf Teufel komm raus imitieren zu wollen. Eine Versuchsanordnung, die tatsächlich Lust macht, den berühmten Text wieder zu lesen (auf meiner Agenda steht er irgendwann in den nächsten Wochen).

Schön auch ein Raum, der ganz dem berühmten Brief an Ernst von Pfuel vom 7. Januar 1805 gewidmet ist, aus dem nicht nur ich einen Hinweis auf Kleists unterdrückte Homosexualität ableite. Ein körniger, verwackelter, unscharfer Film mit ein paar jungen Männern läuft hier in Endlosschleife über die Leinwand, Männer, die mit sehr viel Spaß in den Wellen herumtollen, sich gegenseitig nassspritzen, ins Wasser werfen etc., eine Situation, die Kleist so ähnlich auch beschreibt. Dazu läuft über Lautsprecher, ebenfalls in Endlosschleife, eine Lesung des Briefes. Ganz versunken findet man sich als Betrachter in einer Szene, die viel mit erwachender Sexualität, Körperlichkeit und spielerischer Erotik zu tun hat, eine überaus friedliche, lustvolle und freundliche Situation.

Doch der Erkenntniswert der Ausstellung insgesamt bleibt gering. Und auch wer sucht nach dem „echten“ Kleist, nach historischen Lebensspuren, vor denen man andächtig erschauern kann, wird milde enttäuscht: Nur wenige Originale haben den Weg in die Ausstellungen geschafft. Dafür darf man, und dafür gibt’s ein großes Extralob, nach Herzenslust in Brief-Faksimiles blättern und, unterstützt durch die parallele Transkription in ordentliche Buchstaben, Kleists Sauklaue Handschrift studieren.

Zum Eintauchen in die Kleistwelt taugen die Ausstellungen aber insgesamt leider nicht, das Ganze bleibt eigenartig an der Oberfläche. Blambergers Biographie ist deutlich erhellender, liefert alle Kernaussagen der Ausstellung mit, und man muss zum Erwerb nur zur nächsten Buchhandlung laufen. Die Fahrt nach Berlin und Frankfurt kann man sich jedenfalls, was diese Ausstellungen betrifft, schenken.

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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