Vielen Dank – und Schluss

Es war ein spannendes Jahr – das habe ich allein daran gemerkt, wie schwer es mir fiel, nach dem Zuschlagen meiner drei dunkelblauen Hanser-Bücher am 31. Dezember auch innerlich loszulassen und mich von meiner so zur notwendigen Gewohnheit gewordenen fast täglichen Kleistlektüre zu trennen. Jetzt, Anfang März 2012, wird es dann aber doch Zeit abzuschließen, zurückzuschauen und den Blick zu schärfen für neue Projekte.

„Mein Kleistjahr“ war ein gelungenes Jahr. Alles, was ich mir erhofft hatte von der intensiven Beschäftigung mit diesem Autor, ist in Erfüllung gegangen. Ich habe Kleist als Mensch und als Autor so intensiv kennengelernt, dass es zwischendurch wehtat. Kleist macht es ja niemandem leicht. Er ist voller unerträglicher Widersprüche, er fasziniert und stößt ab, manchmal nervt er ganz entsetzlich. Und dann schreibt er Szenen wie das Ende von Prinz Friedrich von Homburg, und ich liege da mit Tränen in den Augen, Herzklopfen und Kloß im Hals, und es ist das Schönste und Bewegendste, was in deutscher Sprache jemals geschrieben worden ist.

Er stößt Wilhelmine brüsk zurück. Er reflektiert über das Fasttotsein, nachdem seine Kutsche umstürzte. Er beschreibt die schreckliche, unfassbar gewalttätige Entfesselung eines Mobs. Er verurteilt den gewaltsamen Kampf eines einzelnen kleinen Kaufmanns gegen die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit der Obrigkeit und sorgt auf wundersam ironische Weise am Ende doch noch für Gerechtigkeit. Schlafende, schlafwandelnde, im Schlaf sprechende, Entrückte stehen immer wieder im Zentrum. Er versucht immer wieder Neues, fast immer scheitert er – seine vielen Lebensentwürfe passen viel besser in unsere Zeit als in seine. Heute hätte er vielleicht überlebt, aber sicher nicht mit viel mehr Geld als damals, vielleicht zusätzlich mit ein paar Antidepressiva in der Tasche. Und irgendwelche freien Berliner Hinterhoftheater hätten ihn auch gespielt, und ein paar Euro pro Vorstellung, auf jeden Fall nie genug, wären womöglich auch an ihn geflossen.

Meine bewegendsten Momente bei der Lektüre gab es in der Rückschau sicher bei Penthesilea und Das Erdbeben in Chili. Überaus erhellend und beglückend war die erneute Lektüre von Amphitryon und Der zerbrochne Krug. Enttäuschend fand ich Das Käthchen von Heilbronn, spannend höchstens dabei wahrzunehmen, was dabei herauskommt, wenn ein Kleist in massiver Geldnot ein kommerzielles Stück schreibt. Wirklich ärgerlich war nur eine Lektüre: Der Zweikampf ist in meinen Augen wirklich gründlich daneben gegangen.

Meine bewegendsten Momente jenseits der Lektüre hatte ich ganz sicher in Frankfurt / Oder. Die „Kleist-WG“ war die Ausstellung zu meinem Kleistjahr – heutig, assoziativ, lebendig. Die offizielle Doppelausstellung in Frankfurt und Berlin war dagegen, auch in der Rückschau mit einem halben Jahr Abstand, frustrierend museal, trotz aller krampfiger Bemühung um Aktualität. Der widersprüchliche, anstrengende Kleist fand viel eher in der Kleist-WG statt. Mein Trip an den Rand der Republik, meine Gespräche am Rande der Kleistgrab-Baustelle in Berlin, in der Kleist-WG und im Garten des Kleist-Museums in Frankfurt, liegend im Kleist-Liegestuhl, waren ungeheuer spannende und beglückende Momente.

Und es gab die schönen Gespräche hier in Köln mit Freundinnen und Freunden, die mir oftmals halfen, meine Gedanken und Gefühle auf die Reihe zu bekommen und in Worte zu fassen. Vielen Dank an alle, die mich im vergangenen Jahr mit Anregungen, Hinweisen, Artikeln, Links, Widerspruch und Zustimmung versorgt haben!

Heute beende ich diesen Blog. Die Kommentare sind geschlossen, die Seiten bleiben aber bis auf weiteres im Netz. Wer mir schreiben will, kann dies weiterhin per E-Mail tun: mein-kleistjahr@martinfueg.de.

Und wie geht es weiter? Durch den Kanon der Weltliteratur werde ich mich ganz sicher nicht weiter auf diese Art durcharbeiten, keine Sorge … Aber Ideen für neue Projekte habe ich und freue mich auf das, was kommt. Demnächst mehr!

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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