Erbsen angebrannt

Die Berliner Abendblätter haben Pressegeschichte geschrieben, und dass Kleist nach längerer Krise und wirklich nicht mit Freunden und Mitstreitern gesegnet sich auf dieses unglaubliche Projekt gestürzt und tatsächlich über einen vergleichsweise längeren Zeitraum eine Tageszeitung produziert hat, die sogar ihre Leser fand, verdient großen Respekt. Hansers Münchner Ausgabe versammelt auf rund 140 Seiten Kleists Beiträge zu seinem Ausflug in den Tagesjournalismus, und die Mischung, die dem Leser dort begegnet, ist schon etwas eigenartig.

Kleist zugute kam in den ersten Wochen sicher eine Reihe von mysteriösen Brandstiftungen in Berlin, über die er, mehr oder weniger faktenreich, fast täglich berichten konnte, z.B. in einem Extrablatt vom 1. Oktober 1810: In dieser Nacht ist das Haus des Bäckermeisters Lamprecht in der neuen Königsstraße Nr. 71 abgebrannt. Das Haus war sehr baufällig, und die Entstehungsart ist noch nicht ausgemittelt. Auch außerhalb Berlins, angeblich in Friedrichsfelde, ist in dieser Nacht Feuer gewesen.

Kleist profitierte nicht nur bei seinen Berichten über die Mordbrenner-Bande davon, dass er zunächst direkten Zugriff auf die Polizeiberichte hatte und damit eine exklusive Quelle, die ihm ein hohes Publikumsinteresse und eine entsprechende Auflage sicherte. Die Polizeiberichte füllten zudem die Seiten.

Nicht alles, was er hier veröffentlicht, ist wirklich spannend und wichtig, und schon seine Zeitgenossen parodierten die zuweilen reichlich belanglosen Meldungen. So weist Blamberger in seiner Biografie auf eine Parodie in einer Konkurrenzzeitung, dem „Beobachter an der Spree“ hin, die den Stil und den Inhalt mancher der Kleistschen Neuigkeiten sehr hübsch einfängt: „Am verwichenen Donnerstag sind durch Nachlässigkeit zweier Dienstmädchen die Erbsen angebrannt und kaum zu genießen gewesen.“

Von Vornherein war Kleist aber auch erkennbar darum bemüht, eine durchaus spannende Mischung der Artikel herzustellen. Boulevardeske Elemente standen neben Theaterkritiken, deftige Anekdoten (teilweise aus anderen Zeitungen leicht bearbeitet übernommen) neben kulturkritischen Essays. Sogar Kleists zwischendurch etwas verschüttete Liebe zu den Naturwissenschaften, man erinnere sich an seine mehrere Wochen verfolgten Pläne, mit einem selbstgebauten U-Boot nach Australien auszuwandern, kommt wieder durch, als sich sein Blatt über mehrere Wochen mit den Möglichkeiten der Luftschifffahrt auseinandersetzt.

Versuche, politische Artikel zu schreiben, stoßen allerdings schnell auf Widerstand, mehrfach bekommt er auch in den vergleichsweise gut laufenden ersten Monaten Ärger mit der Zensur. Aber das Konzept geht insgesamt eine ganze Weile auf, und ich habe den Eindruck, als wären das alles in allem doch ein paar gute Monate in Kleists Leben gewesen: mit festem Wohnsitz, einer täglichen strukturierten Arbeit und klugen Gedanken, die er in großartiger Sprache und vollendeter Form zu Papier bringt. Gestern, etwa auf der Hälfte der Berliner Abendblätter angelangt, begegnete mir der Aufsatz Über das Marionettentheater, sicher einer der besten Texte, die Kleist geschrieben hat, erstmals in seiner Zeitung veröffentlicht.

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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