Goethe über Kleist: „Etwas Unschönes in der Natur,
ein Beängstigendes“

Goethes völlig missglückte Uraufführung des Zerbrochnen Krugs ist legendär, die Aufführung fiel beim Premierenpublikum und bei der Presse grandios durch und wurde sofort abgesetzt. Kleist bemühte sich mit der Veröffentlichung einiger Ausschnitte in seiner Zeitschrift Phöbus um Rehabilitation, wirklich erfolgreich wurde Der zerbrochne Krug erst Jahrzehnte später, heute gehört es zu den meistgespielten deutschen Stücken. Goethe hat sich gegenüber dem Theologen und Schriftsteller Johannes Falk ausführlich über Kleist geäußert und dabei, zitiert ihn Falk korrekt, woran man nicht zweifeln möchte, einen unglaublichen Mist erzählt.

In der Erzählung Michael Kohlhaas komme „alles gar zu ungefüg“, im Zerbrochnen Krug fehle es „dem übrigens geistreichen und humoristischen Stoffe an einer rasch durchgeführten Handlung“. Interessant ist, dass er Kleist Dinge vorwirft, die wir heute als Ausweis von Kleists Modernität und Qualität wahrnehmen – ein Zeichen dafür, wie wenig sich die beiden verstanden haben: „Es gebe (bei Kleist) ein Unschönes in der Natur, ein Beängstigendes, mit dem sich die Dichtkunst bei noch so kunstreicher Behandlung weder befassen, noch aussöhnen könne. Und wieder kam er (Goethe) zurück auf die Heiterkeit, auf die Anmuth, auf die fröhlich bedeutsame Lebensbetrachtung italienischer Novellen, mit denen er sich damals, je trüber die Zeit um ihn aussah, desto angelegentlicher beschäftigte.“ Goethe scheint im Alter dem Eskapismus gefrönt zu haben, und mit heiteren italienischen Novellen konnte und wollte Kleist wohl nicht dienen.

Der Vorwurf, es fehle dem Zerbrochnen Krug an einer rasch durchgeführten Handlung, ist schlichtweg falsch. Das Stück zieht, genial konstruiert wie es ist, Leser und Zuschauer innerhalb weniger Minuten völlig in den Bann. Es entfaltet sich geradezu atemlos ein Gerichtsthriller, den von klassischen Filmen dieses Genres nur eins unterscheidet und das Drama in die große Komödie wendet: Wir kennen den Täter von der ersten Minute an, und es ist der Richter himself.

Die Hauptfigur ist ein korruptes, erpresserisches Schwein, und wir dürfen genüsslich zusehen, wie es sich selbst demontiert. Die geniale Konstruktion des Plots basiert ganz wesentlich auf der Idee, Dorfrichter Adams schwierige Lage durch eine nicht angesagte Prüfung durch das vorgesetzte Amt zu verschärfen. Die Atemlosigkeit des Stücks wird durch die Form des Einakters verstärkt: Adam versucht immer wieder, sich Luft zu verschaffen, indem er alles daran setzt, die Verhandlung für Pausen zu unterbrechen, aber seine Gegenspieler nutzen diese vermeintlichen Phasen des Durchschnaufens nur, um ihm noch stärker zuzusetzen.

Jemand, dem mehr nach heiteren italienischen Novellen zumute war, musste dieses Stück in den Sand setzen. „Etwas Unschönes in der Natur, ein Beängstigendes“ – in der Tat, nicht nur Michael Kohlhaas, auch Der Zerbrochne Krug ist nicht geeignet (bei aller großartigen Komik, die dieses Stück auch beim Lesen entfaltet), „Heiterkeit“ und „Anmuth“ zu verbreiten. Vertrauen in die Obrigkeit hat hier niemand, Identifikationsfiguren gibt es keine, und Eves nicht zu zerstreuendes Misstrauen gegenüber dem Staat verzögert (in der heute üblicherweise gespielten Variant-Fassung) massiv das Happy End.

Ach, hätte Goethe doch von diesem Stück, dessen Titel er im Gespräch mit Falk nicht mal mehr genau wusste, die Finger gelassen. Schuld an dem Desaster kann nur Kleist sein: „Sie wissen, welche Mühe und Proben ich es mir kosten ließ, seinen ,Wasserkrug’ aufs hiesige Theater zu bringen. Daß es dennoch nicht glückte, lag einzig in dem Umstande, daß es dem übrigens geistreichen und humoristischen Stoffe an einer rasch durchgeführten Handlung fehlt. Mir aber den Fall desselben zuzuschreiben, ja, mir sogar, wie es im Werke gewesen ist, eine Ausfoderung deßwegen nach Weimar schicken zu wollen, deutet, wie Schiller sagt, auf eine schwere Verirrung der Natur, die den Grund ihrer Entschuldigung allein in einer zu großen Reizbarkeit der Nerven oder in Krankheit finden kann. “

Über martinfueg

Martin Füg studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft in Bonn und Erlangen. In Erlangen gründete und leitete er gemeinsam mit Kerstin Bürger und Patrick Fuchs das Freie Theater DWARD. 1999 löste sich DWARD auf. Seit 2000 lebt und arbeitet Martin Füg in Köln. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender des Bach-Vereins Köln.
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